Wilhelm Waiblinger               Die Betende

1804 – 1830

 

Dort kniet von Andachtsglut emporgetragen,

zu Freud’ und Wonne hoher Regionen

das Mädchen, glaubt auf Erden nicht zu wohnen,

der Erde Glück und Unglück zu entsagen.

 

Und was der Mensch umfasst in frohen Tagen,

sie kennt es nicht, will nicht mit Liebe lohnen,

wie auch im Antlitz Anmut, Zauber wohnen,

sie scheut der Liebe Glück, der Liebe Plagen.

 

Die Hände faltet sie so fromm und milde,

im blauen Auge glänzt der Wehmut Träne,

die Hostie reicht der Kirche ernster Diener:

 

da schallen durchs Gewölbe laut die Töne,

Vollendung leiht der Chorgesang dem Bilde,

sie schaut zum Himmel, seufzt und betet kühner.